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Backhaus

Backhaus, K: Nachhaltige Freiheit

Medium: Buch
ISBN: 978-3-593-51166-5
Verlag: Campus Verlag GmbH
Erscheinungstermin: 20.05.2020
Lieferfrist: bis zu 10 Tage
Beschneidet Nachhaltigkeit unsere Freiheit? Im Gegenteil: Die ökologische Krise bedroht unsere politische Freiheit. Wenn wir weiterhin darüber entscheiden wollen, wie wir gemeinsam leben, müssen wir, so die These dieser Studie, Freiheit neu denken. Nachhaltige Freiheit bezieht ihre Bedingungen und ihre Konsequenzen ein. Die Autorin bestimmt Nachhaltigkeit als das Verhältnis von Mensch und Natur und entwickelt einen Mindeststandard, der irreversible ökologische Schäden verhindern soll. So legt sie mit diesem Buch eine moderne ökologische Philosophie vor.

Produkteigenschaften


  • Artikelnummer: 9783593511665
  • Medium: Buch
  • ISBN: 978-3-593-51166-5
  • Verlag: Campus Verlag GmbH
  • Erscheinungstermin: 20.05.2020
  • Sprache(n): Deutsch
  • Auflage: 1. Auflage 2020
  • Produktform: Kartoniert
  • Gewicht: 133 g
  • Seiten: 396
  • Format (B x H): 140 x 213 mm
  • Ausgabetyp: Kein, Unbekannt

Autoren/Hrsg.

Autoren

Backhaus, Katia Henriette

Katia Henriette Backhaus hat am Exzellenzcluster 'Die Herausbildung normativer Ordnungen' an der Universität Frankfurt im Bereich der Politischen Theorie promoviert. Sie arbeitet nun als Journalistin und lebt in Bremen.

Inhalt
1 Freiheit und Nachhaltigkeit zusammen denken 9
1.1 Klimawandel und die ökologische Krise 19
1.2 Freiheit in der grünen politischen Theorie und Umweltethik 28
1.3 Aufbau des Buches 37
2 Freiheit 41
2.1 ›Negative‹ und ›positive‹ Freiheit? 43
2.1.1 Zwei Freiheitsbegriffe (I. Berlin) 43
2.1.2 Das Problem der negativen Freiheit (Ch. Taylor) 58
2.1.3 Drei Freiheitskonzepte? (Q. Skinner) 68
2.1.4 Ein triadisches Freiheitskonzept (G. MacCallum) 75
2.1.5 Zwischenfazit: Fünf Kernkategorien eines umfassenden Freiheitsbegriffs 82
2.2 Drei Elemente der Freiheit 87
2.2.1 Die natürliche Umwelt als Bedingung der Möglichkeit von Freiheit 91
2.2.2 Zu den Entstehungsgründen der Bedingungen der Möglichkeit
von Freiheit 95
2.2.3 Der Zusammenhang der Bedingungen der Möglichkeit von
Freiheit und der Freiheitspotentiale 101
2.2.4 Der Zusammenhang von Freiheitspotential und Freiheitsakt 107
2.3 Zwischenfazit: Freiheit realisieren 113
3 Nachhaltigkeit 117
3.1 Zur Begriffsgeschichte der Nachhaltigkeit 119
3.1.1 Zu den Wurzeln des Nachhaltigkeitsbegriffs 120
3.1.2 Ein neuer Begriff: Nachhaltige Entwicklung 127
3.1.3 Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung – zwei separate Begriffe? 142
3.2 Grundkonzepte der green political theory 145
3.2.1 Die Debatte um den Wert der Natur 151
3.2.2 Der Mensch zwischen Natur und Verantwortung 156
3.3 Ein ›normativer Mindeststandard‹ der Nachhaltigkeit 166
3.3.1 Unbegrenzte Substituierung? 167
3.3.2 Zur ökologischen Dimension des ›normativen
Mindeststandards‹ der Nachhaltigkeit 170
3.3.3 Zur moralischen Dimension des ›normativen
Mindeststandards‹ der Nachhaltigkeit 175
3.3.4 Wie kann ein ›normativer Mindeststandard‹ der
Nachhaltigkeit politisch begründet werden? 184
3.3.5 Konkrete politische Praxis der Nachhaltigkeit mit
Blick auf den ›normativen Mindeststandard‹ 194
3.4 Zwischenfazit: Mensch und Natur, ein politisches Verhältnis? 199
4 Zu den Bedingungen der Möglichkeit einer nachhaltigen Freiheit 202
4.1 Zwei Entstehungsgründe der Bedingungen der Möglichkeit einer nachhaltigen Freiheit 203
4.1.1 Existentiell gegebene Bedingungen der Möglichkeit von
Freiheit 204
4.1.2 Von Menschen geschaffene Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit 224
4.1.3 Freiheit und das ›Wesen‹ des Menschen 240
4.2 Interne und externe Bedingungen der Möglichkeit einer nachhaltigen Freiheit 250
4.2.1 Interne Bedingungen der Möglichkeit nachhaltiger Freiheit 251
4.2.2 Externe Bedingungen der Möglichkeit nachhaltiger Freiheit:
Die normative politische Ordnung nachhaltiger Freiheit 255
4.2.3 Interne und externe Bedingungen der Möglichkeit verbinden 260
4.3 ›Greening liberalism‹? 264
4.3.1 Derek R. Bell: Ökologische Prinzipien sprengen die liberale Verfassung 265
4.3.2 Marcel Wissenburg: Naturschutz als liberales Rechtsprinzip 270
4.3.3 Simon Hailwood: Neutrale Natur und liberale Toleranz 282
4.4 Noch einmal: Warum es wichtig ist, die Bedingungen der Möglichkeit in die Freiheit zu integrieren 290
5 Zu den Freiheitspotentialen und -akten nachhaltiger
Freiheit 293
5.1 Politische Freiheit mit privatem Freiheitspotential 294
5.1.1 Politische Freiheitspotentiale 296
5.1.2 Das Freiheitspotential der privaten Lebensgestaltung 298
5.1.3 Freiheit erfahren 300
5.2 Das ›Regenwald-Problem‹ 301
5.2.1 Abholzung des Regenwalds: Ein nachhaltiges Problem 303
5.2.2 Abholzung des Regenwalds: Ein freiheitstheoretisches
Problem 305
5.2.3 Strukturelle Freiheitshindernisse und politisches Handeln 307
5.2.4 Die Freiheit des Unternehmers 313
5.3 Das ›Porsche-Problem‹ 321
5.3.1 Subjekte nachhaltiger Freiheit und ihre Präferenzen 322
5.3.2 ›Das Freiheitsvehikel schlechthin. ‹ 324
5.3.3 Konsumfreiheit: Drei Kritikpunkte 328
5.3.4 Der Sportwagen als Präferenz 336
5.3.5 Nachhaltige und nicht nachhaltige Freiheitspotentiale
und -akte 343
5.3.6 Politische Grenzen der privaten Freiheitspotentiale 345
5.4 Wirkmacht und Rechte 350
5.4.1 Politische Wirkmächtigkeit als Resultat von Freiheitsakten? 350
5.4.2 Freiheitspotentiale als Freiheitsrechte? 356
5.5 Radikale nachhaltige Freiheit? 361
6 Schluss 363
6.1 Fazit 364
6.1.1 Die Aktualität der Freiheit 365
6.1.2 Das komplexe Konzept der Nachhaltigkeit 368
6.1.3 Nachhaltige Freiheit: Eine Zusammenfassung 371
6.2 Ausblick 377
Literatur 382

1 Freiheit und Nachhaltigkeit zusammen denken
Den Blick auf die im doppelten Sinne begründenden gedanklichen Gerüste der von Menschen geteilten Welt zu werfen, ist Aufgabe der politischen Theorie und Philosophie. Widersprüche innerhalb dieser Strukturen zu diskutieren gehört ebenso dazu, wie neue Perspektiven auf Bestehendes aufzuzeigen. Zudem gehört dazu, Veränderungen desselben nicht nur zu registrieren, sondern auch zu begleiten. Ich diskutiere in diesem Buch die fundamentale Veränderung der menschlichen Umwelt, die ich als ökologische Krise bezeichne, aus der Perspektive der politischen Theorie und Philosophie. So rückt die Reflexion des der Krise zugrundeliegenden Verhältnisses von Mensch und Natur in den Fokus.
Die ökologische Krise betrifft die natürliche Umwelt aller Lebewesen auf der Erde inklusive der Ökosysteme. Nicht nur die Erfassung und Beschreibung dieser Krise, sondern auch Lösungen und Handlungsempfehlungen werden dementsprechend häufig von Expertinnen erwartet, die sich mit naturwissenschaftlichen Fragen beschäftigen. Obwohl dies geschieht, zeigen die Ergebnisse dieser Untersuchungen, dass eine Reduktion auf die naturwissenschaftliche Perspektive nicht erfolgversprechend ist, weil sie die tieferliegenden Ursachen der Krise nicht erfassen kann. Denn am Beginn der naturwissenschaftlichen Kausalkette, die unter anderem erklären will, weshalb die Erderwärmung weiter fortschreitet, steht der Mensch selbst. Unsere Lebensweise ist die Ursache für das Ausmaß und die Form der ökologischen Krise, die wir gegenwärtig erleben. Demzufolge ist es genau genommen falsch, von einer ökologischen Krise zu sprechen: 'Environmentalists’ problems began with inaccurately referring to the crisis we face as an ›ecological‹ one. The natural environment has not malfunctioned. It is the destructive behaviour of humans which is the problem.'
Dass die natürliche Umwelt unter bestimmten menschlichen Verhaltensweisen leidet, ist inzwischen sowohl bekannt als auch anerkannt. Debatten über die Vermeidung von Plastikmüll, über klimafreundliche Mobilität oder den Ausbau der Nutzung regenerativer Energien werden – zumindest in Deutschland – von einer breiten Öffentlichkeit geführt. Nichtsdestotrotz ist noch immer mehr als unklar, ob es möglich sein wird, eine weitere Verschärfung der ökologischen Krise und damit umfassende Veränderungen der natürlichen Umwelt zu vermeiden. Denn in einer demokratischen Gesellschaft kann der Wandel von Konsum, Produktion und Lebensstil nicht einfach angeordnet werden. Akzeptanz von und Motivation für Veränderung, Teilhabe an Entscheidungsprozessen und die Sicherheit, dass gewisse Standards weiterhin Gültigkeit haben, sind wichtige Faktoren für eine umfassende ökologische Wende.
In der öffentlichen Diskussion zeigt sich, dass Menschen vor allem um eins fürchten: ihre Freiheit. In einem Essay mit dem Titel 'Der Teufel trägt Öko' hat Thomas Assheuer diese Sorge um das Ende der liberalen Freiheit prägnant formuliert:

'Wenn die Klimakrise so gewaltig ist, wie die erdrückende Mehrheit der Klimaforscher behauptet, dann hat die Freiheit definitiv keine Wahl mehr, sie muss umsteuern oder, wie einige fordern: Sie muss die Laufrichtung ändern. Freiheit schlägt um in Unfreiheit, denn unter den Bedingungen von Erderwärmung und Artensterben stünde das Ziel allen politischen Handelns immer schon fest, absolut, unverrückbar und für lange Zeit. Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit und reduziert sich darauf, die Folgen früherer Freiheitsentscheidungen zu bekämpfen: Eine Zukunft gibt es nur, wenn es in der Gegenwart gelingt, die Fehler der Vergangenheit zu minimieren. Ist es dann noch Freiheit?'
Immer neue Beispiele bestätigen diesen Zusammenhang: Wenn Innenstädte autofrei werden, ist es dann noch Freiheit? Wenn die Mehrwertsteuer auf Fleisch steigt, ist es dann noch Freiheit? Wenn Inlandsflüge verboten werden, ist es dann noch Freiheit? Nachhaltigkeit, die normative und politische Antwort auf die ökologische Krise, steht der Freiheit in diesen Debatten stets konträr gegenüber. Der Schutz der Natur scheint die Freiheit der Menschen zu beschränken.
Der Konflikt zwischen Mensch und Natur hat in der Philosophie Tradition. Es gibt zwei Varianten: Erstens, das Spannungsverhältnis zwischen Mensch und ›innerer‹ Natur, das der Determinismus-Diskussion zugrunde liegt, und zweitens, das ebenfalls als konflikthaft wahrgenommene Verhältnis zwischen Mensch und ›äußerer‹ Natur, zu deren Schutz – vor allem in Zeiten der ökologischen Krise – dem Menschen Freiheits-beschränkungen auferlegt werden sollen. Wie frei kann ein Mensch sein, der von Trieben und Bedürfnissen beeinflusst ist? Wie kann sich der vernünftige, ›kultivierte‹ Geist gegen die ›wilde‹ Natur durchsetzen? Diese Fragen stellen nicht nur die Einzelnen, sondern auch das politische Gemeinwesen vor Probleme, denn der Grad an ›Zügelung‹ und ›Herrschaft‹, der als sinnvoll erachtet wird, steht stets in Spannung zu der Freiheit, die gewährt und ermöglicht werden soll. Dass Freiheit dieser Überzeugung nach immer wieder gegen die Natur verteidigt werden muss, macht einerseits den Grund dieser Spannung aus, betont andererseits aber auch die Bedeutung, die der Freiheit zugesprochen wird.
Die Frage nach der menschlichen Freiheit und ihrem konflikthaften Verhältnis zur Natur muss immer wieder neu gestellt werden, weil die Spaltung des Menschen in einen empirischen und einen geistigen Teil nur theoretisch möglich ist und die Bedürfnisbefriedigung Werten und Idealen im Wege stehen kann. Der Mensch ist und bleibt Teil der Natur, eben weil er seine eigene Natur nicht vollständig transzendieren kann.
Im gegenwärtigen Kontext der ökologischen Krise wird die Beziehung von Freiheit und Natur, wie oben bereits angedeutet, ebenfalls gegensätzlich, aber in anderer Form gedacht. Der Gegensatz wird nun nicht als innerer Konflikt verstanden, sondern die Natur erscheint als das Äußere, als die Menschen umgebende Welt, die potentiell freiheitsbedrohend sein kann. Diese Bedrohung hat eine direkte und eine indirekte Konsequenz: Erstens erfordern spontan auftretende Naturereignisse wie Dürren, Überschwemmungen oder Hurrikans, schnelle und bestimmte Reaktionen. Zweitens wird dadurch die Freiheit eingeschränkt: Sowohl die politische, weil die Frage der demokratischen Gestaltung im Katastrophenfall hintenansteht, als auch die persönliche Freiheit. Auf Krisenfälle muss sofort und im schlimmsten Fall unter Ausnahmezustandsregelung reagiert werden. Dann wird der politische Normalzustand unterbrochen. Aushandlungs- und Abwägungsprozesse werden abgekürzt. Zugleich geht mit der Erkenntnis, dass eine spezifische Lebensweise die Ursache für verschiedene Phänomene der ökologischen Krise darstellt, häufig der Lösungsvorschlag einher, mithilfe politischer Instrumente in die freie Wahl der persönlichen Lebensweise einzugreifen.
Durch diese Interpretation, die die Natur als Lebensumwelt des Menschen begreift, wird die Verbindung beider neu gedacht: Der Mensch erscheint einerseits als Instanz, die in der Lage ist, die natürliche Umwelt zu beeinflussen und zu verändern. Entsprechend haben Wissenschaftlerinnen den Begriff des Anthropozäns, des menschlichen Zeitalters, geprägt. Andererseits kann der Mensch den Konsequenzen des Wandels, den er selbst verursacht hat, nicht entkommen – er bleibt auf die Natur als Umwelt angewiesen, auch wenn sie inzwischen eine menschliche Prägung aufweist.
Wie kann Freiheit vor diesem Hintergrund neu gedacht werden? Schon im Bericht des Club of Rome von 1972, der die Folgen von Umweltschäden prognostiziert, formulierten die Wissenschaftlerinnen das Ziel, 'Freiheit für die menschliche Gesellschaft zu finden und ihr keine Zwangsjacke aufzubinden'. Die Autorinnen beschreiben, wie ›alte‹ durch ›neue‹ Freiheiten ersetzt werden könnten – zum Beispiel die Freiheit, unkontrolliert Rohstoffe zu verbrauchen, durch die Freiheit für schöpferische Tätigkeit. Eine Umkehr bisheriger Freiheitsdefinitionen haben auch andere Autoren vorgeschlagen, indem sie kritisch hinterfragen, was gegenwärtig als frei und was als freiheitsbeschränkend gilt. So schreiben Claus Leggewie und Hartmut Welzer über den Begriff des Verzichts:

'Wer ›Verzicht‹ ruft, muss sich also fragen lassen, auf was man unter den gegebenen Bedingungen eigentlich verzichtet. Wenn etwa von Einschränkungen der privaten Pkw-Nutzung die Rede ist, könnte man darauf hinweisen, dass schlechte öffentliche Verkehrsnetze erzwungenen Verzicht bedeuten – nämlich auf komfortable, umweltfreundliche und preiswerte Mobilität, für Kinder und Ältere auf Beweglichkeit jenseits des Gartenzauns und für die Bundesrepublik immer noch auf mehr als 4000 Verkehrstote jährlich.'
Mein Vorschlag einer nachhaltigen Freiheit geht jedoch in eine andere Richtung und legt den Fokus auf die politische Freiheit. Indem ich vorschlage, Freiheit und Nachhaltigkeit in Beziehung zueinander zu denken, stelle ich einerseits die Frage danach, wie Freiheit im Kontext der ökologischen Krise gedacht werden kann. Andererseits untersuche ich, wie der Umgang mit der ökologischen Krise aus der Freiheitsperspektive gedacht werden kann. Das Konzept nachhaltiger Freiheit soll den Schlüssel zu beiden Fragen darstellen, indem es die Bedrohung der politischen Gestaltungsfreiheit ernst nimmt und ihren Erhalt als Ziel menschlichen Handelns setzt.
Warum Freiheit?
Freiheit ist jedoch nicht der einzige politische Wert, der im Zusammenhang mit der ökologischen Krise und der Nachhaltigkeit diskutiert wird. Politikerinnen betonen, dass Klimaschutz nicht zulasten der sozialen Gerechtigkeit gehen darf. Das zeigt sich nicht nur an der Debatte um die Zukunft von Beschäftigten der Kohleindustrie oder um die Benzinpreise, sondern auch um Steuererhöhungen für bestimmte Güter oder Dienstleistungen. Viel Aufmerksamkeit bekommt inzwischen auch die Forderung nach Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Seitdem im Sommer 2018 die schwedische Schülerin Greta Thunberg damit begonnen hat, freitags nicht in die Schule zu gehen, sondern für den Klimaschutz zu demonstrieren, hat die 'Fridays for future'-Bewegung weltweit zahlreiche Anhängerinnen gewonnen. Die Jugendlichen argumentieren, dass ihr Leben deutlich stärker von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein wird als das der Älteren. Zahlreiche Erwachsene haben sich ihren Forderungen angeschlossen.
Nichtsdestotrotz gibt es meiner Ansicht nach zwei Gründe, die Freiheit in den Fokus zu rücken. Erstens macht das traditionell spannungsreiche Verhältnis von Freiheit und Natur dieses Paar zu einem interessanten Gegenstand, um die ökologische Krise aus der Perspektive der politischen Theorie und Philosophie zu diskutieren. Ich möchte daran anknüpfend untersuchen, wie sich Freiheit und Nachhaltigkeit zueinander verhalten. Dabei geht es mir darum zu argumentieren, dass Nachhaltigkeit keine Unfreiheit erzeugt. Zweitens hat meine Entscheidung auch damit zu tun, dass die akademische Debatte sich bislang deutlich stärker auf Gerechtigkeit in Verbindung mit der ökologischen Krise konzentriert hat. Dieses Verhältnis ist weniger spannungsreich, bietet aber eine Antwort, wenn es um die Abwägung von Freiheit und Nachhaltigkeit geht: Gerecht ist, was den zukünftig lebenden Menschen jene Möglichkeiten erhält, die die gegenwärtig lebenden haben. Dieser Gedanke nimmt dem Konflikt zwischen Freiheit und Nachhaltigkeit seine Schärfe, weil er die Gerechtigkeit als übergeordneten Wert setzt. Ich hingegen bin der Auffassung, dass die politische Freiheit die entscheidende Handlungsoption ist, die Menschen heute wie in Zukunft haben sollten. Aus diesem Grund ist nicht die Gerechtigkeit, sondern die Freiheit für meine Überlegungen zentral.
Ein Konzept mit vielen Facetten
Meine Herangehensweise setzt voraus, dass Freiheit ein vielgestaltiges und dynamisches Konzept ist. Im Zuge des Versuchs, eine eigenständige green ideology zu definieren, haben Theoretikerinnen die Frage aufgegriffen, wie die Bedeutung eines Begriffs entsteht und welche Kämpfe darum ausgefochten werden. Ich möchte diesem Ansatz nicht explizit folgen, aber die Grundidee des sozialkonstruktivistischen Wandels von Konzepten als Anregung nutzen.
Michael Freeden, ein wichtiger Vertreter des neuen ideology-Ansatzes, ist der Auffassung, dass Begriffe kein inhaltliches ›Herzstück‹ haben, sondern ihre Bedeutung prinzipiell undeterminiert ist. Sie sollten als soziale Konstrukte verstanden werden, deren Bedeutung sich aus ihrer Verwendung ergebe. Demzufolge könne sich der Modus der decontestation von Begriffen, also die Bestimmung eines spezifischen Verständnisses, nur auf ihre Verwendungstradition beziehen, und zwar sowohl aus diachroner als auch aus synchroner Perspektive. Es zeigt sich laut Freeden, dass sich mit der Zeit bestimmte unauslöschbare Bedeutungsaspekte (ineliminable features) eines Begriffs herausbilden. Doch auch diese ›unauslöschbaren‹ Aspekte sind im Endeffekt nur arbiträr. Sie haben sich schlicht im Verlauf des kulturellen Gebrauchs als widerständig oder ausreichend anpassungsfähig gegenüber Veränderungen der Umstände erwiesen, damit aber nicht einen Status logischer Definitionszugehörigkeit erlangt. Diese Aspekte stellen also lediglich eine Art minimale, aber hinreichende Grundmenge von Begriffselementen dar.
Anhand des Beispiels ›Freiheit‹ (›liberty‹) illustriert Freeden seinen Gedanken. Fehlende Beschränkung (non-constraint) ist ihm zufolge ein unauslöschbares, kulturell geprägtes und immer wiederkehrendes Element des Begriffs. Zugleich aber betont er die kontingente Faktizität dieser Bestimmung:

'It is simply a fact that human beings have organized the concept of liberty in such a way as to make the ineliminable and identifying component indispensable to it; though we may still wish to insist that other aspects of liberty, say, self-development or autonomy, are more central or core elements in terms of their importance for human and social life.'
Auch wenn es also weitere Aspekte gibt, die für die Beschreibung des Be-griffs der Freiheit von (möglicherweise größerer) Bedeutung erscheinen, wird die Deutung von Freiheit als Form fehlender Beschränkung empirisch immer wieder bestätigt. Zugleich aber lässt sich Freiheit aufgrund der eben¬falls vorhandenen, weiteren Deutungselemente nicht allein darauf reduzieren.
Die entscheidende Funktion der unauslöschbaren Elemente ist demzufolge nicht die Definition, sondern die Distinktion verschiedener umkämpfter Begriffe. Bildlich gesprochen ermöglicht die Konzentration auf die jeweiligen ineliminable features, Markierungen auf einer begrifflichen Landkarte zu setzen und so zu verdeutlichen, welcher Bedeutungsgehalt den verschiedenen umkämpften Begriffen zuzuordnen ist. So kann mithilfe dieser Aspekte eine sehr minimale Skizze einer begrifflichen Welt (etwa jener der politischen Theorie) erstellt werden. Um eine vollständigere Karte zu erhalten, müssten weitere Bedeutungslücken gefüllt werden.
Freeden stellt weiter die These auf, dass es für jedes Konzept allgemeine und spezifische Fragen gibt, die beantwortet werden müssen. Erstere verweisen auf notwendig zu bestimmende Bedeutungskategorien dieser Konzepte, letztere auf zusätzliche, konzeptspezifische Kategorien. So sind etwa für alle politischen Begriffe allgemeine Fragen wie die nach den anthropologischen Grundannahmen, moralischen Überzeugungen und so weiter fundamental. Konzeptspezifische Kategorien ergeben sich aus den Begriffen und ihren Verwendungen. In Bezug auf Freiheit sind etwa Fragen nach dem Subjekt der Freiheit oder den Beschränkungen der Freiheit zentral. Freedens Anspruch ist also nicht, eine substantielle Vorgabe in Bezug auf die Inhalte der jeweiligen Kategorien zu machen, sondern vielmehr den strukturellen oder kategorialen Rahmen der möglichen Bedeutungen eines Begriffs aufzuzeigen.