Die Aufklärung ist in einem zentralen Punkt der biblischen Weltordnung verpflichtet geblieben: dem des Geschlechtslebens.
Daß nun auch dieser Aspekt menschlichen Daseins mit vernünftigem
Denken angegangen wurde, änderte nichts an der Vorstellung, die
Zeugungslust sei nur zur Fortpflanzung innerhalb der Ehe erlaubt.
Doch wo die christliche Theologie in verbotener Lust noch Sünde
sah, setzte der medizinische Diskurs der Aufklärung körperlichen
Verfall. Sünder wurden nun zu Kranken, und so begann das
Zeitalter nervöser Sexualkrankheiten. Die bedeutsamste war die
Onanie, die vor allem Kinder und Jugendliche mit Tod oder Irrsinn
bedrohte. Aus der dramatischen Anti-Onanie-Kampagne im 18. Jh.
entstand eine neue Ordnung des Geschlechts mit der Lust als
Eigenwert. Wir haben sie als Sexualität zu bezeichnen gelernt.
Autor: Karl Braun studierte Volkskunde und Germanistik in
Tübingen. Seit 1992 ist er Lehrbeauftragter an der Universität in
Prag.