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Corsten

Karl Mannheims Kultursoziologie

Eine Einführung

Medium: Buch
ISBN: 978-3-593-39156-4
Verlag: Campus Verlag GmbH
Erscheinungstermin: 08.03.2010
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Karl Mannheim gilt als Klassiker der Soziologie. Dass seine Kultursoziologie aber auch auf die aktuellen Gesellschaftswissenschaften großen Einfluss hat, zeigt Michael Corsten in seiner Einführung in das Mannheim'sche Werk. Das wechselseitige Verhältnis von Kultur und Gesellschaft sieht er dabei als Schlüssel zum Denken des Soziologen. Der von Mannheim entwickelte "dynamische Relationismus" dient auch heute noch dazu, die Beeinflussung von Kultur und Gesellschaft durch ihre Zeit und den sie umgebenden Raum zu analysieren. So hilft beispielsweise seine Definition von Generationen zu verstehen, warum diese einen jeweils eigenen Stil ausprägen. Michael Corsten nimmt sich mit dieser Einführung der überfälligen Aufgabe an, die Arbeiten Karl Mannheims in ihrer Gesamtheit zu betrachten und ihre internen Zusammenhänge nachzuweisen.

Produkteigenschaften


  • Artikelnummer: 9783593391564
  • Medium: Buch
  • ISBN: 978-3-593-39156-4
  • Verlag: Campus Verlag GmbH
  • Erscheinungstermin: 08.03.2010
  • Sprache(n): Deutsch
  • Auflage: 1. Auflage 2010
  • Serie: Reihe Campus Studium
  • Produktform: Kartoniert
  • Gewicht: 293 g
  • Seiten: 222
  • Format (B x H x T): 136 x 207 x 20 mm
  • Ausgabetyp: Kein, Unbekannt

Autoren/Hrsg.

Autoren

Corsten, Michael

Inhalt

Einleitung und Überblick 7
Aufbau des Buches 10
Leben und Werk 12

1. Mannheims Grundfrage 17
1.1 Die gesellschaftliche und geschichtliche Bedingtheit der Kultur 17
1.2 Drei Perspektiven der Soziologie 23
1.3 Mannheims Ansatz: Umkreisen als Weg – Synthese als Ziel 37
1.4 Zusammenfassung des ersten Kapitels 40

2. Das Umkreisen kultursoziologischer Grundbegriffe – frühe Studien 43
2.1 Konjunktives Erkennen – elementare Praxis der Welterschließung 45
2.2 Sprache und Kommunikation als erweiterbare Praxisformen 50
2.3 Gemeinschaftsbildende Kraft 51
2.4 Historische Dynamik 62
2.5 Stil, Echtheit und Kennerschaft 71
2.6 Zusammenfassung des zweiten Kapitels 76

3. Das Umkreisen methodischer Regeln 78
3.1 Die 'dokumentarische Methode' in der heutigen Sozialforschung 79
3.2 Strukturgenetische Rekonstruktionen von Kulturgebilden 95
3.3 Erweiterungen: Von der dokumentarischen Methode zur Visuellen Soziologie 111
3.4 Zusammenfassung des dritten Kapitels 113

4. Dynamischer Relationismus – Ideologie und Utopie 115
4.1 Denkkrisis und der Verdacht der 'totalen Ideologie' 116
4.2 Die Programmatik der wissenssoziologischen Analyse 119
4.3 Begründung des Dynamischen Relationismus 125
4.4 'Utopie' und das Problem der 'realen Deckung' 127
4.5 Zusammenfassung des vierten Kapitels 130

5. Vier beispielhafte Analysen und ihr heutiger Wert 132
5.1 Das Problem der Generationen 134
5.2 Über das Wesen und die Bedeutung des Erfolgsstrebens 144
5.3 Der Wettbewerb der intellektuellen Standpunkte 161
5.4 Die Seinsgebundenheit der politischen Denkströmungen 173

6. Wie weiter mit Karl Mannheim? 193
6.1 Mannheims späte Werke – Anlass zur Revision? 194
6.2 Seinsverbundene Wirklichkeitssuche – eine praxistheoretische Wissenssoziologie? 201
6.3 Die dokumentarische Methode – ein Schlüssel der Interpretativen Sozialforschung? 205
6.4 Dynamisch-relationistische Synthesen – anstelle unverbundener Gegenwartsanalysen? 208

Literatur 214

Einleitung und Überblick

Denkangebote der Gesellschaftstheorie haben – wie vieles andere auch in unserer modernen Welt – Konjunkturen, sprich Aufs und Abs.
Das gilt für die Soziologie Karl Mannheims in ganz besonderer Weise. Versetzt man sich zurück in die späten 1920er Jahre, dann lässt sich Mannheim als junger Senkrechtstarter im Wissenschaftsbetrieb charakterisieren, der schon mit Anfang 30 eine Vielzahl von hochkarätigen Veröffentlichungen verfasst, eine viel gerühmte Habilitationsschrift vorgelegt und einen handfesten Soziologenstreit um die Wissenssoziologie angezettelt hatte. Außerdem wurde er im April 1930 – im gerade vollendeten 37. Lebensjahr – als einer der jüngsten Professoren in Deutschland auf den renommierten Lehrstuhl für Soziologie und Nationalökonomie in der Nachfolge von Franz Oppenheimer an die Universität Frankfurt am Main berufen. Dort galt sein soziologisches Seminar als hoffnungsvoller Konkurrent der ebenfalls gerade aufstrebenden 'Kritischen Theorie der Gesellschaft' von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die im Frankfurter Institut für Sozialforschung beheimatet war.
Karl Mannheim schien zu diesem Zeitpunkt alles erreicht zu haben, was sich ein junger, aufstrebender Wissenschaftler wünschen kann.
Aber die rund zehn Jahre von 1921 bis 1932 in Deutschland blieben ein zeitlich begrenzter Höhenflug. Denn so, wie Karl Mannheim nach dem Ersten Weltkrieg aus politischen Gründen zur Flucht aus Ungarn gezwungen gewesen war, so vertrieb ihn die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 aus Deutschland. Und auch die äußerlich erfolgreichen zwanziger Jahre waren ambivalent. Innerlich trafen ihn die Vorurteile und Ressentiments, die ihm als ungarisch-deutschen und jüdischen Flüchtling von der deutschen Gesellschaft entgegengebracht wurden.
Von diesen erzwungenen biographischen Brüchen ausgehend wurde immer wieder auch auf die Zerrissenheit in Mannheims Werk geschlossen, das sich entsprechend seiner Lebensstationen in eine frühe ungarische Phase, eine mittlere deutsche und späte englische Phase (mit kurzem Zwischenhalt in den Niederlanden) einteilen lässt. Aber neben diesen Neuanfängen, die sich aus der Auseinandersetzung mit den jeweils national-kulturellen Hintergründen des Fachs der Gesellschafts- und Kulturphilosophie sowie der Soziologie in Ungarn, Deutschland und England ergaben, ist Mannheims Denk- und Argumentationsstil durch immer wieder erfolgende Perspektivwechsel, Abwandlungen von Begrifflichkeiten, tastendem Suchen und erneutem Ansetzen an veränderten Problembestimmungen gekennzeichnet. Dafür wurden ihm sowohl mangelnde Stringenz und Klarheit als auch weltanschaulicher Relativismus vorgeworfen, obwohl es ihm vielmehr um die Synthese und Integration widerstreitender Standpunkte ging.
Es kann als unumstritten gelten, dass Mannheim der soziologischen Fachwelt mit dem Buch 'Ideologie und Utopie' sowie einer Reihe von einzelnen Abhandlungen und Aufsätzen eine Vielzahl klassischer Texte hinterlassen hat. Einzelne Studien etwa zum Problem der Generationen, zur Rolle der Intellektuellen oder zum wirtschaftlichen Erfolgsstreben sind heute noch unumgänglich für Forschungen auf diesen Gebieten. Und es hat immer wieder Wellen der Rezeption von Mannheims Werk gegeben, etwa die in den 1970er Jahren durch die 68er-Bewegung bedingte Renaissance der Ideologiekritik, die auch Mannheims Ideologiebegriff wieder prominent werden ließ; oder die in den 1980er Jahren wieder entdeckte soziologische und historische Lebenslauf- und Biographieforschung, die insbesondere von Mannheims generationssoziologischem Beitrag profitierte. Einen wichtigen Impuls lieferte auch die späte, posthume Erstherausgabe der frühen kultursoziologischen Manuskripte von Karl Mannheim im Jahr 1980 durch David Kettler, Volker Meja und Nico Stehr. Sie übte vor allem Einfluss auf methodologische und methodische Debatten in der neueren Interpretativen Sozialforschung aus.
Als Gesamtwerk mit eigenständigem Theorieprogramm, das Schulen gebildet hat, ist Karl Mannheims Soziologie heute jedoch kaum mehr sichtbar.
Von seiner Schrift 'Ideologie und Utopie', in der hellsichtige Analysen der politischen Weltanschauungen und Geisteshaltungen der 1920er Jahre zu finden sind, wird in der politischen Soziologie leider nur selten Notiz genommen. Seine zweite, größere Monographie 'Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus' aus dem Jahr 1935 war aufgrund seiner in der Soziologie insgesamt wenig geschätzten planungstheoretischen Überlegungen immer schon etwas reservierter aufgegriffen worden.
Noch bitterer erscheint es, dass sein 'wissenssoziologischer Standpunkt', der 1928 auf dem Soziologiekongress in Zürich noch einen ganzen 'Streit um die Wissenssoziologie' angezettelt hat, heute fast völlig in Vergessenheit geraten ist. Auf der im Internet veröffentlichten Leseliste der Sektion 'Wissenssoziologie' der Deutschen Gesellschaft für Soziologie findet man lediglich Mannheims Aufsatzsammlung 'Wissenssoziologie' – und damit ausgerechnet einen Band, der nun schon seit Jahren nicht mehr erhältlich ist.
Ist die fehlende Gesamtdeutung von Mannheims Werk nur im brüchigen biographischen Werdegang und historischen Schicksal oder auch in seiner wissenschaftlichen Haltung begründet? Sind das Zweifeln am eigenen Standpunkt und das Ringen um die Synthese unterschiedlicher Standpunkte aus der Mode gekommen? Zählt das aufrichtige Bemühen der Gesellschaftswissenschaftlerin oder des Gesellschaftswissenschaftlers um eine ernsthafte Rekonstruktion der ›verschiedenen Standpunkte‹ nicht mehr? Muss in einer beschleunigten Gesellschaft ›for the sake of brevity‹ darauf verzichtet werden, sich auf den Standort der Diskussionspartnerin einzulassen? Kostet das zu viel Zeit und Aufmerksamkeit? Kann man es sich nicht mehr erlauben, die unterschiedlichen, aber gleich bedeutsamen Positionen der beteiligten Gruppierungen in seinen Beiträgen zu berücksichtigen?
Auf den ersten Blick betrachtet scheint das naheliegend. Aber besteht in Mannheims Bemühen um die Rekonstruktion der jeweiligen Standpunkte, in seinem Versuch, die Spannungsfelder zwischen ihnen auszuleuchten, nicht gerade ein Sinn für das Aufeinandertreffen der sozialen und kulturellen Verschiedenheiten in einer modernen Gesellschaft? Liegt in seiner programmatischen Absicht einer Synthese von Weltanschauungen nicht auch eine ungeheure Chance, die heute in der Soziologie bloß nebeneinander existierenden Gesellschaftsdiagnosen zu einem differenzierteren und daher der Komplexität angemessenem Verständnis der Konfliktlagen zusammenzuführen? Wäre Mannheim womöglich ein noch zu entdeckender Theoretiker einer Soziologie der Verschiedenheiten, der social diversities?
Die vorliegende Einführung unternimmt einen Versuch, Mannheims Werk als Gesamtansatz zu rekonstruieren. Dabei interessieren seine theoretisch-konzeptionelle Herangehensweise an soziologische Fragen und Problemstellungen, seine Entwicklung einer Methode der empirischen Sozial- und Kulturforschung sowie die in den konzeptionellen und empirischen Ansätzen enthaltenen Potenziale für eine aktuelle Gesellschaftsanalyse.
Auch wenn der Akzent darauf liegt, ein Verständnis für die konzeptionellen und empirisch-methodischen Zusammenhänge in Mannheims Werk zu entwickeln, sollen Differenzen in seinen Arbeiten und in seinen verschiedenen Schaffensphasen nicht verdeckt werden. Allerdings geht diese Einführung davon aus, dass Mannheims Gesamtwerk weniger ›zerrissen‹ und ›relativistisch‹ ausfällt als oft behauptet worden ist. Dazu gilt es, die Leitmotive aufzudecken und hervorzuheben, die in Abwandlungen in den einzelnen Arbeiten von Karl Mannheim immer wieder auftreten sowie nach den Gründen der Modifikationen zu suchen, die aus seinem konzeptionellen und methodischen Ansatz heraus für die Revisionen sprechen.
Denn gerade die Offenheit, Wandlungsfähigkeit und das hohe Synthesepotenzial des Ansatzes machen ihn attraktiv als Grundlage für aktuelle Gesellschaftsdiagnosen. Von dem in Mannheims Denkstil angelegtem steten Suchen nach Synthesen gehen gerade für unser 'Zeitalter', das immer noch oder gerade wieder als eines 'im Umbau' gedeutet werden kann, gewinnbringende Impulse aus, weil er dazu zwingt, nicht bei der partikularen Betonung einzelner Wirkkräfte der Gesellschaft – wie Beschleunigung, Differenzierung, Kulturkonflikt, Risiko – zu verharren, sondern nach Beschreibungen zu suchen, die zu einer Einsicht in die komplexen Konstellationen und Wechselwirkungen zwischen diesen verschiedenen Faktoren und Kräften verhelfen.