Marszalek: Leben und das Papier

Über ein halbes Jahrhundert lang schrieb die prominente polnische Schriftstellerin Zofia Nalkowska (1884-1954) ihre Tagebücher, die seit 2001 - nach einem Vierteljahrhundert Editionsgeschichte - als ein voluminöses autobiographisches Werk komplett vorliegen. In der kritisch-editorischen Aufarbeitung ›spricht‹ ihr intimes Tagebuch als eine biographisch-historische Chronik der Zeit.

Die vorliegende Studie bietet einen alternativen Zugang zum diaristischen Textkorpus, der über eine für die Rezeption von Autobiographik paradigmatische faktographischreferenzielle Lesart hinausweist. Erscheint ein Tagebuch in der Lektüre als ein abgeschlossener 'Lebensroman', ist es doch zunächst ein diffuses 'Ich-Labor' und 'Ich-Archiv'. Swird das diaristische Werk Nalkowskas primär als Dokument einer lebenslangen, im diskursiven Raum ihrer Zeit verankerten Schreibaktivität untersucht. Das Augenmerk gilt den Tagebüchern als einem Gebrauchs- und Beschreibungstext einer Kulturtechnik der Selbst-Gestaltung sowie den subjekt- und existenzphilosophischen Wissensstrukturen, die Nalkowskas literarische Produktion insgesamt fundieren. Die diaristische Tätigkeit erweist sich unter dieser Perspektive als eine (autobiographische) Strategie im komplexen literarischen Projekt des Sich-Selbst-Schreibens.

INHALT
Einleitung

I Autobiographisches Schreiben: Zwischen Tilgung und Totalität des Autobiographischen in der Literatur

1. Aporien des autobiographischen Subjekts: Neuere Ansätze in der Autobiographiediskussion
Der problematische Gegenstand -
Der autobiographische Pakt -
Von der Unmöglichkeit der Autobiographie -
Das autobiographische Subjekt -
Exkurs: Feministische Autobiographietheorie -
Autobiographie und Postmoderne -
Fazit

2. Autobiographiediskussion in der Polonistik
Literatur des persönlichen Dokuments -
Das Spiel mit dem autobiographischen Pakt -
Fazit

3. Tagebuch als autobiographische Form
Strukturalistische Sicht -
Diskursanalytische Perspektive -
Fazit

II "Das Leben und das Papier" Das autobiographische Projekt Zofia Nalkowskas

1. Diaristisches Sich-Selbst-Schreiben (Methodische Überlegungen)
Das Schreiben und die Techniken des Selbst -
Performativität diaristischer Tätigkeit -
Das autobiographische Projekt -
Das Tagebuch Zofia Nalkowskas als Untersuchungsobjekt

2. Subjektivität und Literatur: Zur psychologischen 'Identitätstheorie' in der Prosa Zofia Nalkowskas
Das Ich, das nicht eins ist -
Von der Erkenntnisskepsis zur Anthropologie der Dunkelheit-
Relativismus versus Determinismus -
Oberflächen-Beschreibungen -
Fazit

3. Zofia Nalkowskas diaristisches Schreiben

I. Das schreibende Ich:
Diaristische Selbst-Technik

3.1 Diaristischer Metatext
Disziplinierung der Schreiblust -
Schreiben versus Leben -
Interdiaristik -
Diaristisches Ich-
Archiv: Zeit und Gedächtnis

3.2 Diaristische Rede-Regulierung
Diaristische Aufzeichnung -
Sprechen versus Schweigen -
Sprechen über die Krankheit -
Sprechen über die Mutter -
Sprechen im Krieg -
Sprechen im Alter

3.3 Diaristischer Gebrauchstext
Diaristische Sorge um sich selbst -
Selbstadmiration und Selbstdisziplinierung -
Kontroll-Effekte -
Fazit

4. Zofia Nalkowskas diaristisches Schreiben

II. Das geschriebene Ich:
Autobiographische Selbst-Konstruktionen

4.1 Text und Geschlecht
Sprechen als Frau: Weiblichkeit und Autorschaft -
"Mensch oder Frau" -
Kobiety: Weiblichkeit zwischen Übertretung und Regress -
Die Entscheidung der Diaristin -
Weiblichkeit als Kunst -
Fazit

4.2 Verkörperungen
Körper im Text -
Existenz -
"Dziwnosc" und Rati-
Leidensbilder -
Fazit: Text-Körper

5. Zofia Nalkowskas autobiographisches Projekt
Autorin im Text -
Der erotische Text -
Kunst des Textes und Lebenskunst -
Die Form -
Fazit:

Zur Situierung Zofia Nalkowskas im autobiographischen Diskurs der polnischen Moderne

Literaturverzeichnis