Die Vielfalt in Gesellschaften und Organisationen wächst im Zuge der Integrationsprozesse der Globalisierung - und damit die Notwendigkeit für verschiedene Akteure, auf diese zu reagieren, sie zu gestalten und zu steuern. Wirtschaft und Politik, aber auch Kultur und Kommunikation sind zunehmend international verflochten, beschleunigt und verdichtet durch neue und schnellere Kommunikations- und Transportmittel. Schnellere und günstigere Reisemöglichkeiten erleichtern die Migration und durch Wanderungsbewegungen nimmt die Vielfalt der Bevölkerung in den meisten Ländern der Welt zu. In den Industrieländern erleben wir einen demografischen Wandel, der durch sinkende Geburtenraten und steigende Lebenserwartung - Stichwort Alternde Gesellschaft - gekenn-zeichnet ist. Unternehmen sind zunehmend auf verschiedenen Märkten aktiv, externalisieren ihre Produktion, betreiben global sourcing von Produk-ten und MitarbeiterInnen, visieren gleichzeitig neue Absatzmärkte an und sind daher in der Belegschaft und dem Kundenkreis mit größerer Vielfalt konfrontiert. (O'Brien/Williams 2007; Özbilgin/Tatli 2008) Weltweit wächst in den letzten Jahrzehnten außerdem der Anteil von Frauen an der Erwerbsbevölkerung im formalen Sektor, es kann von einer "globalen Feminisierung der Arbeit" (Standing 1999) gesprochen werden. Der "comparative advantage of women's disadvantage" (Kabeer 2000: 5) stellt einen Anreiz für transnationale Unternehmen dar, die Produktion in ar-beitsintensiven Sektoren in Entwicklungsländer zu verlagern und hauptsächlich weibliche Arbeitskräfte zu beschäftigen. Innerhalb der Or-ganisation kommt es zu vielfältigen Ungleichheiten und Diskriminierung entlang von Differenzlinien aufgrund der Individuen und Gruppen zuge-schriebenen Eigenschaften und Rollen, zum Beispiel hinsichtlich Ein-kommen, Aufstiegsmöglichkeiten, Arbeitsbedingungen oder Belästigung. Dabei wirken verschiedene Differenzkategorien wie Geschlecht, Eth-nie/Nationalität und sozialer Status intersektional und hierarchisch zu-sammen als Platzanweiser (Crenshaw 1989).
Die Prozesse wirtschaftlicher Globalisierung verändern also die Le-bens- und Arbeitsbedingungen weltweit. Gleichzeitig gibt es unter dem Stichwort Diversity Management Bemühungen, die Vielfalt in der Be-schäftigtenstruktur - vor allem in gehobenen Positionen - effizient zu steuern und möglicherweise Chancengleichheit zu erreichen. In einer Doppelbewegung profitieren transnational agierende Unternehmen einer-seits von globaler Ungleichheit und verstärken diese, anderseits führen sie unter der Bezeichnung Diversity Management Strategien ein, um proaktiv mit der wachsenden Vielfalt innerhalb der Organisation umzugehen. Der Begriff Diversity, auf Deutsch zumeist als Vielfalt übersetzt und bezogen auf die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geschützten Identitäts-kategorien Geschlecht, "Rasse", ethnische Herkunft, Alter, Behinderung, sexuelle Orientierung und Religion, versucht, gesellschaftliche Pluralität unter ein Schlagwort zu fassen und gleichzeitig praxisrelevante Konzepte für den Umgang mit Vielfalt vorzuschlagen, die eine Benachteiligung auf-grund der genannten Zugehörigkeiten vermeiden helfen. (Schiederig/Vinz 2009b; Schiederig/Vinz 2010a; Krell 2004) Diversity soll in dieser Arbeit verstanden werden als Oberbegriff für die Anerkennung von Vielfalt, dessen Operationalisierung als Management-Strategie das so genannte Diversity Management (DiM) ist.
Der Diversity-Ansatz ist in den USA aus der Bürgerrechtsbewegung heraus als Leitbild für affirmative action und als Strategie gegen die Diskriminierung von people of color und Frauen bekannt geworden. Seit den 1990er Jahren wurde Diversity in Form personalpolitischer und Marketing-orientierter Strategien des Diversity Management von US-amerikanischen Unternehmen aufgegriffen. (Schiederig/Vinz 2009b; Schiederig/Vinz 2010a; Krell 2004) Im Prozess der wachsenden Transnationalisierung und Diversifizierung von Produktion, MitarbeiterInnen und Märkten wird der Diversity-Ansatz für grenzüberschreitend tätige Unternehmen relevant, um weltweit Talente anzuziehen und auf verschiedenen Märkten innovative Produkte anbieten zu können. Entsprechend formulieren die Konzernzentralen zunehmend den Anspruch, "Global Diversity Management" zu betreiben und es im gesamten Konzern umzusetzen. (Wentling/Palma-Rivas 2000; Egan/Bendick 2003; Vedder 2006; Özbilgin/Tatli 2008) Die Literatur zeigt, dass der Diversity-Ansatz im Gepäck von Großunternehmen von den USA nach Europa diffundiert ist. (Ferner/Almond/Colling 2005; Vedder 2006; Süß/Kleiner 2006a) Zu den Mechanismen des Transfers aus US-Unternehmen nach Europa gibt es bereits einige wenige Studien, die darauf hinweisen, dass der politisch-institutionelle Kontext des Herkunftslandes eine wichtige Rolle spielt. (Ferner/Almond/Colling 2005; Egan/Bendick 2003; Wentling/Palma-Rivas 2000; Jones/Pringle/ Shepherd 2000) Zum Transfer aus europäischen Unternehmen in Schwellen- und Entwicklungsländer liegen bisher keine For-schungsergebnisse vor. Dies scheint umso interessanter, als den EU-Staa-ten vergleichsweise hohe normative Standards unterstellt werden und da-von ausgegangen werden kann, dass auch hier der Transfer durch den jeweiligen institutionellen Kontext im Herkunftsland beeinflusst wird und die Mitbestimmungsregelungen in den europäischen Ländern zu mitbe-stimmten Diversitätspolitiken führen. Nun stellt sich die Frage: Wie erfolgt der Transfer von Diversitätspolitiken in Unternehmen mit Stammsitz in der Europäischen Union an Standorte in Schwellen- und Entwicklungsländern?
Die soeben aufgeworfene Frage nach Transfer oder Diffusion hat weitergehende politikwissenschaftliche Implikationen, denn im Zuge der "ungleichzeitigen Denationalisierung" von Wirtschaft und Politik (Zürn 1998) werden privaten Akteuren in wachsendem Maße politische Kapazitäten zugeschrieben. Transnationale Unternehmen (TNU), die ihre Aktivitäten zunehmend horizontal und vertikal integriert und global ausgeweitet haben, werden als einer der Schlüsselakteure der Globalisierung angesehen, da sie wirtschaftliche und politische Prozesse durch Bewegung von Investitionen, Produkten, Dienstleistungen und Personal grenzüberschreitend beeinflussen und verknüpfen (vgl. Dicken 2011). Ihre grenzüberschreitende Beweglichkeit unterläuft zum Teil die Handlungsmöglichkeiten des Nationalstaats: Aufgrund ihrer transnationalen Verknüpfung haben TNU die Möglichkeit, die Produktion an Orte mit den für sie günstigsten Bedingungen und niedrigsten Lohnstückkosten zu verlagern, beziehungsweise mit der exit option zu drohen, um Regierungen und Arbeitnehmervertretungen zu Zugeständnissen zu zwingen. (Zum Beispiel King Dejardin 2009; Levy/Prakash 2003; Stevis/Boswell 2008; O'Brien/Williams 2007; Hahn 2009) Zunehmend transnational organisierte Unternehmen können regime shopping betreiben und nationale Standards unterlaufen.