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Schoeps-Jensen

Von Hitlers Deutschland zu Trumps Amerika

Das Leben zweier Brüder: Krieg, Nachkriegszeit und die Folgen

Medium: Buch
ISBN: 978-3-95768-249-9
Verlag: Olzog
Erscheinungstermin: 21.04.2023
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Zwei Brüder, zwei Schicksale. Der ältere, Hans-Günther, aufgewachsen in der Nazi-Diktatur, ist begeisterter Anhänger Hitlers und lässt im Zweiten Weltkrieg als Soldat sein Leben für 'Großdeutschland'. Der jüngere, Karl-Heinz, überlebt Krieg und alliierten Bombenhagel und zieht nach dem Untergang des Dritten Reiches in die USA, das Land der Freiheit. Hier wird er zum überzeugten Kosmopoliten und Pazifisten. Doch jetzt, gegen Ende seines Lebens, befällt Karl-Heinz Schoeps-Jensen beim Erinnern und Beschreiben der zwei so unterschiedlichen Bruder-Schicksale immer stärker die Furcht davor, dass die Vergangenheit zurückzukehren droht. Ist ein Wiederaufleben des Faschismus – diesmal in seiner Wahlheimat USA – wirklich so ausgeschlossen, wie er stets glaubte? Ihm wird bewusst: Was so weit weg schien, könnte wiederkehren in einem Amerika, in dem Donald Trump noch immer zahlreiche Anhänger hat.
Im ersten Teil seiner Erinnerungen zeichnet Karl-Heinz Schoeps-Jensen das Leben seines Bruders anhand privater Dokumente nach – von der Kriegsschule in Potsdam und seinen Feldzügen als Leutnant und Oberleutnant in Frankreich, Jugoslawien und der Sowjetunion. Hans-Günther Schoeps stirbt im August 1943 im Alter von 24 Jahren bei Kämpfen in der Ukraine. Heute herrscht dort wieder Krieg, der beim 1935 geborenen jüngeren Bruder Karl-Heinz ­Schoeps-Jensen schlimme Erinnerungen weckt.
Im zweiten Teil berichtet er ausführlich über den Bombenkrieg, den er am Rande des Ruhrgebiets erlebt, und die Nachkriegszeit. Sein Schlüsselerlebnis ist eine Begegnung mit einem deutschen Juden aus Essen, der mit einem Kindertransport nach England kam und nach dem Krieg als britischer Offizier die Schuldigen an der Ermordung seiner Familie vor Gericht bringt.
Als junger Mann zieht Schoeps-Jensen in die USA und heiratet eine Amerikanerin, deren Vater gegen die Deutschen gekämpft hat. Deutsche Geschichte verarbeitet er in mehreren Büchern, im Mittelpunkt steht vor allem die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Jetzt erlebt er gegen Ende seines Lebens, wie die amerikanische Demokratie durch den Faschisten Donald Trump zu zerbrechen droht. Sein Lebenskreis scheint sich zu schließen: von Hitlers Deutschland zu Trumps Amerika.

Produkteigenschaften


  • Artikelnummer: 9783957682499
  • Medium: Buch
  • ISBN: 978-3-95768-249-9
  • Verlag: Olzog
  • Erscheinungstermin: 21.04.2023
  • Sprache(n): Deutsch
  • Auflage: 1. Auflage 2023
  • Serie: Olzog Edition
  • Produktform: Kartoniert
  • Gewicht: 460 g
  • Seiten: 312
  • Format (B x H x T): 151 x 226 x 22 mm
  • Ausgabetyp: Kein, Unbekannt

Autoren/Hrsg.

Autoren

Schoeps-Jensen, Karl-Heinz Joachim

Einführung

Es herrscht wieder Krieg in der Ukraine, in der mein Bruder vor rund 80 Jahren als deutscher Wehrmachtsoffizier gekämpft hat und gefallen ist; er ist jetzt auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Kharkiv beerdigt, zusammen mit rund 42 000 anderen deutschen Soldaten. Die Namen der Orte in der Ukraine, die von den Russen belagert und beschossen werden, sind mir von den Briefen meines Bruders wohlvertraut. Auch ich habe den Krieg als Kind an der Heimatfront er- und überlebt; die Ereignisse in der Ukraine wecken schlimme Erinnerungen in mir.
Am 7. August 1943 schlug nachmittags eine Granate neben dem Gefechtsstand ein, der in wenigen Stunden verlegt werden sollte. Mehrere Soldaten, darunter der Bataillonskommandeur, wurden dabei verletzt. Der Adjutant des Kommandeurs kam mit schwersten Verletzungen sofort zum Verbandsplatz und von dort in ein Feldlazarett hinter der Front, wo er am folgenden Tag, dem 8. August 1943, starb. Der Adjutant war mein Bruder.
Etwa zur gleichen Zeit erstarrte ein kleiner siebenjähriger Junge vor Angst und Schrecken, unfähig, sich in Deckung zu bringen. Um ihn herum fielen Bomben und neben ihm spritzte Staub auf von Maschinengewehrgarben. Über ihm im Tief?flug ein Gesicht mit Flügeln, unter denen er deutlich einen fünfzackigen weißen Stern erkennen konnte. Das Kind überlebte den Angriff und kroch voller Furcht durch einen Graben zu seinem nahe gelegenen Haus. Seine Mutter befürchtete schon das Schlimmste und glaubte, nun auch ihren zweiten Sohn verloren zu haben. Das Kind war ich.
Damit beginnt die Geschichte zweier Brüder, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Ich begann meinen Bericht im März 2020 inmitten der Corona-Pandemie, die bereits schlimme Ausmaße erreicht hatte, obwohl sie von dem Mann im Weißen Haus immer noch heruntergespielt wurde, dessen Regime mich an die Dreißigerjahre in Deutschland erinnerte, in denen ich geboren wurde.
Auf den folgenden Seiten versuche ich, das Leben dieser zwei Brüder in Deutschland nachzuzeichnen. Doch die Milieus, in denen sie aufwuchsen, waren grundverschieden: der eine in einer brutalen Diktatur, der andere in einer freiheitlichen Demokratie. Beide erlebten den Zweiten Weltkrieg, der eine als Soldat, der andere als Kind. Der eine verlor sein Leben an der Front in Russland, der andere überlebte den Krieg am Rande des Ruhrgebiets und musste nach dem Krieg mit Schuldgefühlen und den Folgen des Krieges zurechtkommen und sich seine Welt in Freiheit und ohne Krieg erobern. Die Rede ist von mir und meinem 16 Jahre älteren Bruder Hans-Günther; er wurde im ­Jahre 1919 geboren, ich im Jahre 1935. Sein Leben endete in einer Diktatur; mein Leben begann in einer Diktatur. Doch gegen Ende meines Lebens finde ich mich wieder in einer durch schleichenden Faschismus unter Trump gefährdeten Demokratie.
Ausgehend von unseren Eltern und unserem Elternhaus versuche ich, das Leben meines Bruders darzustellen anhand von seinen Briefen, Tagebuchnotizen, Aufzeichnungen unserer Mutter, Erzählungen und Notizen meiner älteren Schwester Inge und meinen eigenen, wenn auch nur dunklen Erinnerungen. Von seinen Briefen zitiere ich nur Ausschnitte, die ich für relevant und von allgemeinem Interesse halte, jedoch mit meinen Kommentaren aus heutiger Sicht. Vieles Persönliche wie Danksagungen für Briefe und Päckchen oder Anproben beim Uniformschneider übergehe ich dabei. Von Kampfhandlungen findet sich kaum etwas in seinen Briefen wegen der militärischen Zensur und weil er unsere Eltern nicht unnötig beunruhigen wollte. Auch über sein Einsatzgebiet gibt es nur vage Hinweise, sodass ich dazu andere einschlägige historische Quellen zu Rate ziehen musste, die im Literaturverzeichnis aufgelistet sind. Die Übersetzungen stammen von mir, wenn nicht anderweitig angezeigt. Beide Geschichten »spiegeln das menschliche Drama des 20. Jahrhunderts wesentlich direkter als zahlreiche akademische Abhandlungen«. »Statt von der großen Politik herabzuschauen, ist diese umgekehrte Perspektive der Versuch, das Verhalten einfacher Menschen von unten zu rekonstruieren.« Oder wie Bertolt Brecht es in seinem Gedicht »Fragen eines lesenden Arbeiters« formulierte: »Cäsar schlug die Gallier./ Er allein?/ Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte/untergegangen war. Weinte sonst niemand?« Sowohl mein Bruder als auch ich sind Zeitzeugen; mein Bruder als Soldat und ich als Kriegskind. Wie Sabine Bode in ihrem Buch Die vergessenen Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen ausführt, sind »die Kriegskinder als Zeitzeugen von unschätzbarem Wert«. Mein Bruder musste nach dem Krieg nicht »re-zivilisiert« werden wie seine überlebenden Altersgenossen. Und auch ich nur in bedingtem Maße, da ich als 1935 Geborener zu jung war, um vom Nationalsozialismus infiziert zu sein. Meine Sozialisierung begann »nach Hitler« in der Britischen Besatzungszone und der Bundesrepublik Deutschland in einer Zeit, die Konrad Jarausch in seinem Buch After Hitler. Recivilizing Germans 1945–1995 ausführlich beschreibt.
Nach Absolvierung der Kriegsschule in Potsdam im September 1939 kam mein Bruder als junger Leutnant zu seinem Regiment in die Eifel, wurde im Frankreichfeldzug verletzt, meldete sich nach seiner Genesung freiwillig zu seinem Regiment und nahm an den Feldzügen in Jugoslawien und in Russland teil. Er wurde dort nochmals verwundet, meldete sich trotzdem wieder an die Front zurück. Von den Verbrechen der Wehrmacht, der SS und den Einsatzgruppen in Russland, an denen er als Frontoffizier wohl nicht persönlich beteiligt war, doch von denen er sicherlich etwas gewusst haben musste, findet sich kein Wort in seinen Briefen. Während seiner Zeit an der Kriegsschule in Potsdam erlebte er trotz des Weggangs zahlreicher Künstler das immer noch reichhaltige Kulturleben der Reichshauptstadt, das er in seinen Briefen ausführlich schildert. Aus manchen seiner Briefe erfahren wir auch einiges über Land und Leute in den eroberten Gebieten, und das nicht ohne eine gewisse Sympathie. Aus anderen Briefen wiederum sprechen seine totale Bewunderung für den Führer, sein unerschütterlicher Glaube an den Endsieg und seine Gedanken über ein Leben in Deutschland nach dem gewonnenen Krieg.
Anschließend kontrastiere ich mein eigenes Leben mit dem meines Bruders, das unterschiedlicher nicht hätte sein können. Damit hoffe ich, aus meiner Perspektive einen weiteren Beitrag zur »Zeitgeschichte von unten« zu leisten. In einem kleineren Rahmen versuche ich damit, was bereits Konrad Jarausch in seinem Buch Broken Lives getan hat, in dem er die Leben einer Anzahl von einfachen Bürgern in den Wirren des Krieges und der Nachkriegszeit nachzeichnet: »Statt sich auf den Verlauf der hohen Politik zu konzentrieren, erhellt dieser umgekehrte Weg die menschliche Dimension. … Statt von der hohen Politik herunterzuschauen, versucht diese umgekehrte Perspektive, das Leben einfacher Leute von unten zu rekonstruieren.« Doch anstelle von Jarauschs »siebzehn exemplarischen Beispielen … einundzwanzig sekundären Personen … [und] mehr als vierzig Nebenfiguren«. konzentriere ich mich auf nur zwei exemplarische Personen: meinen Bruder und mich. Meine Darstellung schließt sich anderen Büchern mit Feldpostbriefen Angehöriger an oder was darüber berichtet wird wie beispielsweise von Uwe Timm mit seinem Buch Am Beispiel meines Bruders oder Konrad H. Jarausch in Das stille Sterben … Feldpostbriefe von Konrad Jarausch aus Polen und Russland 1939–1942. Timms 16 Jahre älterer Bruder Karl-Heinz war als junger Freiwilliger bei der Waffen-SS an der kämpfenden Front in Russland und bezahlte dafür mit seinem Leben wie mein Bruder, der ebenfalls 16 Jahre älter war als ich. Jarauschs Vater dagegen war Veteran des Ersten Weltkriegs und im Zweiten Weltkrieg als Bewacher von polnischen und russischen Kriegsgefangenen eingesetzt, deren Leiden und Sterben er hautnah miterlebte. Aber auch er überlebte den Krieg nicht und starb an ­Typhus. Mein Bruder dagegen war Frontoffizier, erst in Frankreich, dann in Jugoslawien und zuletzt in Russland. Auch er bezahlte dafür mit seinem Leben. Bei Peter Longerich und in Jarauschs Buch finden sich weitere Literaturhinweise auf andere Feldpostbriefsammlungen wie Briefe aus Stalingrad. Auch im Internet gibt es eine wertvolle Sammlung von Feldpostbriefen.
Mein Leben dagegen verlief völlig anders als das meines Bruders. Ich erlebte zwar die Schrecken des Krieges und die Wirren der Nachkriegszeit als Kind am Rande des Ruhrgebiets in einem Dorf, jetzt Stadt namens Voerde. Doch alles Militärische und Nationalistische ist mir fremd und erfüllt mich mit Abneigung. Als die politische und gesellschaftliche Lage sich etwas beruhigt hatte, ergriff ich die Möglichkeiten, die eine offene Welt und eine freiheitliche Demokratie mir boten, studierte in Deutschland und anderen Ländern und landete schließlich in den Vereinigten Staaten von Amerika und wurde deren Staatsbürger, doch unter Beibehaltung der deutschen Staatsbürgerschaft. Mein Bericht behandelt meine Kriegserlebnisse als Kind, ­meine Nachkriegserlebnisse als Kind und als Jugendlicher und die Folgen; der Schatten des Krieges und der Nazizeit haben mich mein ganzes Leben begleitet.
Für meine Autobiografie waren zwei Bücher inspirierend: Jost Hermands Als Pimpf in Polen und Zuhause und anderswo. Hermand, einer meiner Professoren an der University of Wisconsin in Madison, erlebte wie ich die Kriegs- und Nachkriegszeit in Deutschland. Doch da er rund 6 Jahre älter war als ich, wurde er in die Hitlerjugend gezwungen und als Pimpf im Zuge der Kinderlandverschickung in ein Lager nach Polen geschickt, wo er wegen seines Sprachfehlers und seiner unsportlichen Haltung malträtiert wurde. Hitler wollte bekanntlich seine Jugend »flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl«. Und Hermand war alles andere als flink, zäh und hart, sondern interessiert an Literatur, Kunst und Musik. In seinem Buch Zuhause und anderswo beschreibt er sein Leben im Nachkriegsdeutschland, aber auch ausführlich seine außerordentliche akademische Karriere in Deutschland und, zum größten Teil, in den USA. Ein Kapitel widmet sich den Studentenunruhen auf dem Campus in Madison, die auch ich miterlebt habe und auf die ich später noch zurückkommen werde.
Ein weiteres Buch, das mir Anregungen und Einsichten ­vermittelte, stammt von dem bekannten Germanisten Peter Wapnewski (1922–2012), vor allem der erste Band seiner Erinnerungen Mit dem anderen Auge, Erinnerungen 1922 – 1959, da es Kriegs- und Nachkriegsjahre umfasst. Wapnewski gehörte zu der Generation meines Bruders und diente im Krieg als Panzersoldat in einem Gebiet, in dem auch das Regiment meines Bruders kämpfte. Als Verwundeter (er hatte dabei ein Auge verloren) kam Wapnewski zunächst in ein Notlazarett in Taganrog, einer Stadt am Asowschen Meer, in der etwa zur gleichen Zeit 1942 mein Bruder stationiert war. Obwohl wesentlich jünger, teile ich mit Wapnewski die Erinnerungen an den Bombenkrieg, den er in Berlin erlebte.