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Tilliette

Schelling

Biographie

Medium: Buch
ISBN: 978-3-608-94225-5
Verlag: Klett-Cotta Verlag
Erscheinungstermin: 21.07.2004
Lieferfrist: bis zu 10 Tage
Zum 150. Todestag des Philosophen am 20.8.2004 stellt Xavier Tilliette, der bedeutendste Schelling-Biograph, die Summe seiner Forschungen zum Leben und Werk Schellings vor.

Am 20. August 1854 stirbt der letzte große Philosoph und eigentliche Vollender des Deutschen Idealismus, Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling (1775 - 1854), in Bad Ragaz in der Schweiz. Schelling ist eine der erstaunlichsten Begabungen der Goethezeit: Alles fliegt ihm zu, immer und überall ist er der jüngste, der erste, der beste: Mit 15 wird er in das Tübinger Stift aufgenommen, teilt mit Hölderlin und Hegel die Stube, beginnt mit 19 Jahren erste selbständige philosophische Entwürfe niederzuschreiben und wird als Götterjüngling gefeiert. Schelling hebt den Deutschen Idealismus aus der Taufe und mitbegründet seinen einzigartigen Ruhm. Mit 23 Jahren, Professor in Jena, wird er zum Abgott der Romantiker. Seine Liebe zu Caroline Schlegel löst einen Gesellschaftsskandal aus. 1809 stirbt Caroline; ihren Tod hat Schelling nie verwunden.

Schellings Einfluß ist weitverzweigt: Schopenhauer, Kierkegaard, Engels, Burckhardt, Bakunin, Nietzsche, Freud, Jaspers, Heidegger, Bloch, Habermas u. a. haben sich mit Schelling auseinandergesetzt. Auf Psychologen, Existenzialisten bis hin zu Ökophilosophen wirkt Schelling bis heute weiter. Seine Lebensleistung, Mitbegründer und der eigentlich Vollender des Deutschen Idealismus zu sein, lotet die große Biographie Tilliettes aus und belegt, daß Schellings Denken 'mehr Zukunft als Vergangenheit' hat.

Produkteigenschaften


  • Artikelnummer: 9783608942255
  • Medium: Buch
  • ISBN: 978-3-608-94225-5
  • Verlag: Klett-Cotta Verlag
  • Erscheinungstermin: 21.07.2004
  • Sprache(n): Deutsch
  • Auflage: 2. Auflage 2004
  • Produktform: Gebunden, GB
  • Gewicht: 1077 g
  • Seiten: 595
  • Format (B x H x T): 167 x 237 x 48 mm
  • Ausgabetyp: Kein, Unbekannt

Autoren/Hrsg.

Autoren

Tilliette, Xavier

Xavier Tilliette, geboren 1921, Studium der Theologie und Philosophie, Eintritt in den Jesuitenorden, heute emeritierter Professor des 'Institut Catholique' und der 'Facultés des Jésuites' (beide Paris) sowie der 'Gregoriana', Rom. Zahlreiche Publikationen zu Theologie und Philosophie, vor allem zur Geschichte des Deutschen Idealismus, der Philosophie, des Lebens und Werks von Friedrich W. J. Schelling.

Weitere Mitwirkende

Schaper, Susanne

Inhalt

Vorwort zur deutschen Ausgabe 4

Kapitel 1
'Wenn das Kupfer als Trompete erwacht.' 8

Kapitel 2
Reise- und Lehrjahre 42

Kapitel 3
Jena und die Gilde der Romantiker 70

Kapitel 4
Bamberg, Bocklet und die Jahrhundertwende 102

Kapitel 5
Das schwäbische Intermezzo und Würzburg 139

Kapitel 6
Der Zenit der Identität 168

Kapitel 7
Eine Wahlheimat 200

Kapitel 8
Trauer und Einsamkeit 230

Kapitel 9
Nel mezzo del cammin 261

Kapitel 10
Die große Werkstatt der Weltalter 292

Kapitel 11
'Es scheint, mein Weg soll immer einsamer werden.' 314

Kapitel 12
Erlangen 344

Kapitel 13
Die große Rückkehr 373

Kapitel 14
Eine Odyssee des Geistes 401

Kapitel 15
Die Glorie Bayerns 418

Kapitel 16
In der Höhle des Drachen 454

Kapitel 17
Prolixitas mortis - das Vorlaufen zum Tod 492

Epilog
Nachwelt. Weiterleben 536

Anhang

Anmerkungen 573
Bibliographische Auswahl 574
Bildnachweis
Zeittafel 591
Erläuterungen zu den Hauptpersonen 601
Personenregister 610
Bildnachweis

: Kapitel 3. Jena und die Gilde der Romantiker

[.] Der Aufenthalt in Dresden, der länger als einen Monat gedauert hatte, war ein prägender Zeitabschnitt in Schellings Leben und zugleich ein schöner Auftakt zur Lehrtätigkeit in Jena gewesen. Denn in Dresden wurde Schelling während der in der Galerie verbrachten Stunden die 'Offenbarung der Kunst' zuteil. Seine bisherigen Abstecher in die Museen, die auf seinem Weg lagen, ja, sogar das Mannheimer Museum, hatten ihn kaum beeindruckt. Er hatte eine Einführung und Anregung gebraucht. Diese erhielt er durch seine zweite Entdeckung in Dresden, die Hanse oder Gilde der Romantiker, zwar nicht in ihrer Gesamtheit, doch zumindest mit ihren wichtigsten Vertretern. Ein glücklicher Zufall, wie er Hölderlin, Hegel, Renz und Schelling im Stift zusammengeführt hatte, stellte sich erneut in Dresden während der letzten Sommerwochen des Jahres 1798 ein. Die erste romantische Generation traf sich dort zum erstenmal. August Wilhelm und Caroline Schlegel hatten sich gerade in Elbflorenz niedergelassen, wo Charlotte Ernst, geborene Schlegel, bereits wohnte. Friedrich kam voller Neugier aus Berlin hinzugeeilt, um einen bewunderten und gefürchteten Rivalen kennenzulernen. Hatte August Wilhelm, der im Mai für einen kurzen Aufenthalt in Leipzig eingetroffen war, Schelling eingeladen, sich ihnen anzuschließen? Fuhrmans nahm dies an und stützte seine Vermutung auf einen Brief (datiert auf den 6. Juli) von Friedrich an Niethammer. Novalis sollte für einige Tage aus Freiberg kommen, Fichte ebenfalls; Steffens und der treue Famulus Gries hielten sich bereits in Dresden auf. Ebenso die unansehnliche und dennoch anziehende Rahel ? die Levin ?, die Caroline den Geistesrang streitig machte. Die örtliche Muse, die eher scheue Pastellmalerin Dorothea Stock, trat nur selten in Erscheinung. Ihr Schwager Körner, der Freund Schillers, ließ sich nicht dazu herab, zu kommen. Nur Schleiermacher und Tieck fehlten zur Vollständigkeit der Konstellation oder der Gruppe des Athenäums. In ihrem Brief vom 24. Oktober an Charlotte Schiller gab Dora Stock eine lebendige Beschreibung der Kunstliebhaber:

'Schlegels waren hier wie du weißt [.]. Sie hatten die Gallerie in Besitz genommen und haben mit Schelling und Gries fast jeden Morgen da zugebracht. Sie schrieben auf und docirten, daß es eine Freude war [.]. Sie sprachen zuweilen über Kunst mit mir, fragten mich so manches, welches ich aber gar nicht beantworten konnte [.]. Auch Fichte weihten sie in die Geheimnisse der Kunst ein. Du hättest lachen müssen, liebe Lotte, wenn du die Schlegels mit ihm gesehen hättest, wie sie ihn herum schleppten und ihm ihre Überzeugung einstürmten.'

Fichte war allerdings erst ganz zum Schluß, Ende August, zu ihnen gestoßen, denn kurz zuvor hatte er sich in Jena mit Jean Paul über Poesie und Philosophie unterhalten, wobei sie feststellen mußten, daß ihre Ansichten nicht übereinstimmten. Zu der Zeit hatte Schelling noch nicht viel mit den gefürchteten Schlegels zu tun gehabt, sondern verkehrte mit dem guten Diederich Gries, einem schwerhörigen Dichter aus Hamburg, der sich an seine Rockschöße gehängt hatte. Nehmen wir sein Schelling-Porträt als zweites nach dem von Goethe in unsere Sammlung auf:

'Schelling ist einer von den wenigen Menschen, deren persönlicher Umgang den vortheilhaften Eindruck ihrer Schriften noch erhöht. Er stand eben im 24. Jahre, sein Aeußeres ist, ohne schön zu sein, kraftvoll und energisch wie sein Geist. Die Großheit seiner Ideen entzückte mich oft; in unsern politischen Ideen trafen wir meist zusammen. Der Schwung seines Geistes ist höchst poetisch, wenn er nicht Das ist, was man einen Dichter nennt.'

Gries werden wir auf dem Rückweg wieder begegnen. In dieser Hochburg der Malerei hatte sich trotz Fichte und Schelling die Dichtung stärker etabliert als die Philosophie. Mit dem Gespräch Die Gemälde, das August Wilhelm Schlegel mit Hilfe seiner Frau angefertigt hat, besitzen wir eine recht genaue Wiedergabe der im Museum geführten Unterhaltungen; das waren die Matineen in Dresden. Drei Gesprächspartner, Luise (Caroline), Waller (das 'Bruderpaar') und Reinhold (die abwesenden Tieck-Wackenroders) beschrieben ihre Lieblingsgemälde. Der sehr sorgfältig angefertigte Text war bewußt literarisch gehalten. In ihm ist die gewollte Wandlung 'der Malerei in Poesie' nach Art von Lessing und Goethe zu beobachten, die zugleich das Leitmotiv ausmacht. Dem Autorenpaar zufolge ist das Gemälde Ausdruck, der selbst wiederum nach einer Beschreibung verlangt. Die Beschreibung der allzusehr gepriesenen Sixtinischen Madonna ist besonders gelungen, doch auch Carolines (Luises) Album enthält sehr schöne Skizzen. Aus diesen Sommervormittagen ging nicht nur das Gespräch Die Gemälde hervor, sondern auch Friedrich Schlegels Gespräch über die Poesie, das indirekt aus den Unterhaltungen während der Ferien in Dresden hervorgegangen ist. Neben anderen Aufsätzen befindet sich in diesem Gespräch die wunderbare Rede über die Mythologie, in der Schelling durch Schlegel (im Text Lotario) als geistiger Vater der neuen Mythologie anerkannt wird. Dies war bereits im Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus geltend gemacht worden. In seinen Vorlesungen hat Schelling diese Rolle nicht mehr für sich beansprucht. Die Begegnung in Dresden hatte einen späten Nachklang, nämlich den bewundernswert kunstvollen Schluß der Schrift System des transzendentalen Idealismus. Zur gegebenen Zeit werden wir dieses Werk vor dem Hintergrund seiner Kunstphilosophie über Correggio, den Magier des Helldunkels, Tizian, Rubens, Albani, Raffael, Holbein den Jüngeren und andere erörtern. Als Schelling später in Jena eher zurückgezogen lebte, stellte für ihn die Erinnerung an Dresden die wichtigste Quelle für seine Ästhetik dar.

Ist es überspannt, aus diesen Ferienwochen, in denen junge, ungeduldige Leute ihre Gedanken austauschten, eine 'Sternstunde der Menschheit' zu machen? Ganz bestimmt waren diese Wochen ein Kairos, der zum rechten Moment empfängliche Geister befruchtet hat, und die vom Athenäum gezogene kurze Kometenbahn hat eine bleibende Spur hinterlassen. Doch die Gruppe fiel noch vor dem Herbst auseinander. Obwohl er es eilig hatte, nach Jena zurückzukehren, blieb Schelling noch eine Weile in Dresden, um seinem neuen Freund Gries Gesellschaft zu leisten. Wie viele Schwerhörige war Gries in die Musik vernarrt. Am 1. Oktober wollte er die große Totenmesse von Hasse hören. Danach verließen die beiden Freunde Dresden noch am selben Tag. Am Abend vorher hatte sich Fichte in fröhlicher und entspannter Stimmung den beiden angeschlossen, und Gries zufolge war dies der beste Abend ihres gesamten Aufenthalts.

Ihre Route verlief über Freiberg und das Erzgebirge. Leider war Novalis verreist. August Herder war so freundlich, ihnen die Minen zu zeigen. Gries fühlte sich nicht wohl und stieg früher als Schelling wieder hinauf. Nach diesem Besuch unter Tage wurde die Reise über Altenburg und Gera fortgesetzt. Schelling, der als Tourist gekleidet war, wollte sein Inkognito wahren. Gries konnte ihn deshalb nicht seinem künftigen Kollegen Ullrich vorstellen. Auf dem Weg jedoch begann Schelling Orakelsprüche zu verkünden, und Gegenstand seines undeutlichen Geredes war nichts anderes als die alte und neue Mythologie, sehr zur Freude von Gries, der ihm sein Gehör schenkte, das seinen Dienst jedoch nicht allzugut versah. Diese Erinnerung an die 'unvergeßliche Reise zwischen Dresden und Jena' ist, trotz des schlechten Wetters, bei beiden auch 20 Jahre später noch lebendig geblieben. Am Abend des 5. Oktober kamen sie in Jena an.

Schelling richtete sich zunächst bei Paulus ein, bevor er bei Niethammer, bei dem sich die schwäbische Kolonie zu versammeln pflegte, zur Pension wohnte. Vor kurzem war Niethammer der glückliche und reiche Ehemann der Witwe von Professor Döderlein geworden, einer geborenen von Eckart, charmant und gutherzig. Hegel nannte sie mit einer Antonomasie die beste Frau. Das Ehepaar Schlegel wohnte mit der Tochter aus Carolines erster Ehe nicht weit entfernt, die gegenseitige Bekanntschaft war noch recht flüchtig. Doch das Interesse der reifen Frau war bereits geweckt. Als Schlegel schon die Rolle des Königs Kandaules übernommen hatte, kehrten sie gemeinsam von einer Vorstellung von Wallensteins Lager zurück (der von seiner Arbeit beanspruchte Schelling sollte jedoch nicht der Aufführung der Piccolomini beiwohnen): Es stimmt, daß Fichte Caroline dazu gedrängt hat, vier Schalen Champagner zu trinken. Bereits am 15. Oktober schrieb sie ihrem Schwager Friedrich, dessen vage Feindschaft Schelling gegenüber sie vermutete, diese denkwürdigen Zeilen:

'Schelling wird sich von nun an einmauren, wie er sagt, aber gewiß nicht aushält. Er ist eher ein Mensch um Mauern zu durchbrechen. Glauben Sie, Freund, er ist als Mensch interessanter als Sie zugeben, eine rechte Urnatur, als Mineralie betrachtet, ächter Granit.'

Die erstaunlich scharfsinnige Antwort ließ nicht lange auf sich warten:

'Aber wo wird Schelling, der Granit, eine Granitin finden? Wenigstens muß sie doch von Basalt seyn? Und diese Frage ist nicht aus der Luft gegriffen. Denn ich glaube, er hat un tant soit peu Liebesfähigkeit. Will er die Levi, so will ich sie schicken. Er hat Eindruck auf sie gemacht.'

Der Granit ist fast schon eine Definition von Schellings Persönlichkeit und steht in großem Gegensatz zu jener anderen, der des Proteus. Sie entsprach der äußeren Erscheinung des jungen Mannes, der direkt, mürrisch, energisch und ehrgeizig war, sowie seiner Art, sich deutlich und eigenwillig zu geben: der trotzige Schelling, der arrogante Schelling, ebenfalls ein Epitheton, mit dem Caroline seinen Charakter bezeichnete. Doch die Reizbarkeit, die krankhafte Empfindlichkeit, das Ressentiment und vieles andere entsprachen bereits weniger dem hier in Rede stehenden Felsbrocken. Und das Leben sollte in seinem Lauf noch so manche Verwundbarkeiten, Schwächen und Risse an dem Brocken kenntlich machen, der auf den ersten Blick so rauh und gleichgültig wirkte.